Sachzwang FM
Vor 40 Jahren: Gorbatschow tritt an
Sendetermin 26.03.2025 14:00 bis 16:00
Im März 1985 wird Michail S. Gorbatschow in Moskau zum Parteichef gekürt. Als man sah, wie überraschend sympathisch und telegen der neue Herr Generalsekretär war, bekamen die Konservativen im Westen Muffensausen. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, half nur noch ein Nazivergleich: „Er ist ein moderner kommunistischer Führer, der sich auf Public Relations versteht. Goebbels verstand auch etwas von Public Relations. Man muß die Dinge auf den Punkt bringen.“ (Helmut Kohl)
So wie es später über den „alternativlosen“ Neoliberalismus in einem paradoxen Bonmot heißen wird, jeder könne sich eher das Ende der Welt vorstellen als ein Ende des Kapitalismus, erscheint in den 80er Jahren die internationale Lage bleiern und ewiglich. Die zwei Supermächte stehen sich seit 40 Jahren bis an die Zähne bewaffnet gegenüber. Das nukleare Waffenarsenal ist seit Jahrzehnten apokalyptisch, und die einen sagen, gut so, das bietet Sicherheit (Abschreckungsdoktrin), die anderen befürchten, die Menschheit habe noch höchstens 10 oder 20 Jahre. Jedenfalls kann sich jeder eher ein Ende der Welt vorstellen als ein Ende der UdSSR oder der USA, ein Ende der statisch wirkenden Konfrontation der Supermächte, die sich die Welt in Einflußzonen aufgeteilt haben.
Den Rest besorgt die Konvergenztheorie: Im Westen werde die Marktwirtschaft immer sozialer, im Osten werde der Sozialismus immer zivilisierter; denn immerhin müssen die verfeindeten Gesellschaftsentwürfe ja miteinander konkurrieren.
Was im 21. Jahrhundert passieren wird, ahnt noch niemand.
Es gibt sechs Beiträge zu hören:
– Georg Seeßlen geht dem öffentlichen Bild Gorbatschows nach, das sich (v.a. im Westen und insbesondere in Dtl.) schon bald verselbständigen und vom politischen Akteur loslösen sollte („Unser Gorbi. Kein Nachruf“; 10 Minuten)
– Boris Kagarlitsky zeichnet ein ernüchterndes Bild des letzten Generalsekretärs und Präsidenten der UdSSR („Der letzte Apparatschik“; 10 Minuten)
– Die Redaktion Sachzwang FM versucht sich an einem geschichtsphilosophischen Rückblick auf Gorbatschow und die Sowjetunion (20 Minuten)
– Der Chronist David Priestland zeichnet ein detaillierteres Bild der sowjetischen Reformära 1985–1991, ihrer Protagonisten und ihrer Gegner, sowie der internationalen Umstände („Zwillingsrevolutionen“; 40 Minuten)
– Ewgeniy Kasakow rät allen, denen an gesellschaftlicher Emanzipation gelegen ist, sich mit der Geschichte des sowjetischen Scheiterns zu beschäftigen („Hoffnungsträger und Totengräber“; 10 Minuten)
– Julian Bierwirth geht den Problemen der Planwirtschaft in grundsätzlicher und kategorialer Hinsicht auf den Grund („Sozialistische Warenproduktion? Gescheitert!“; 10 Minuten)

Information zur Sendereihe
Der Sachzwang ist bloße Ideologie. Gleichzeitig ist er aber auch real. Ideologie "wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift", bemerkte schon Karl Marx. Und es gibt keinen Grund anzunehmen, daß dies nicht auch für die Kritik aller Ideologie gelten soll. Mit diesem Verhältnis von Subjektivem zu Objektivem ist gleichzeitig auch schon alles über das "Verhältnis von Theorie und Praxis" gesagt. Immer nur Radio hören! Immer nur lesen! Immer nur klug daherfaseln! Tu doch mal was! Von wegen ...
Wer sich mit (womöglich moralischer) Kritik an "Mißständen" begnügt, ohne der Struktur des selbstgenügsamen Systems von Sachzwängen auf den Grund zu gehen -- und damit gleichsam eine neue Welt zu entdecken, die doch die alte ist --, endet bestenfalls als sentimental appellierender Naivling; schlimmstenfalls wird jedoch, wer das Bestehende in dessen eigenen Kategorien "kritisiert", zum Teil jener konformistischen Revolte, die sich Faschismus nennt.
Eine Sendungsübernahme von Querfunk - Freies Radio Karlsruhe.
Dr. Indoktrinator (Querfunk)
Website: https://www.querfunk.de/sendungen/sachzwang-fm